Ergotherapie
Ergotherapie heute – Ein Weg zu mehr Selbständigkeit
Ergotherapie beruht auf medizinischer und sozialwissenschaftlicher Grundlage und ist ein ärztlich zu verordnendes Heilmittel. Sie kommt bei Menschen jeden Alters mit motorisch-funktionellen, sensomotorisch-perzeptiven, neuropsychologischen und / oder psychosozialen Störungen zum Einsatz.
Ergotherapie hat zum Ziel, Menschen dabei zu helfen, eine durch Krankheit, Verletzung oder Behinderung verlorengegangene bzw. noch nicht vorhandene Handlungsfähigkeit im Alltagsleben wieder zu erreichen. Handlungsfähig im Alltagsleben zu sein bedeutet, dass der Mensch die Aufgaben, die er sich stellt und die, die ihm durch sein Leben bzw. die Gesellschaft gestellt werden, für sich zufriedenstellend erfüllen kann. Für eine effiziente Handlungsfähigkeit ist Voraussetzung, dass körperliche, geistige und psychische Funktionen weitgehend intakt sind und der Mensch in eine sinnvolle Interaktion mit der Umwelt treten kann.
In der Ergotherapie geht es nun nicht um mechanische Wiederherstellung körperlicher, geistiger oder psychischer Funktionen, sondern darum, dass der Mensch die verschiedenen Rollen und die damit verbundenen Aufgaben in seinem Leben wieder bestmöglichst einnehmen kann. Das Erreichen von größtmöglicher Selbständigkeit und Unabhängigkeit im Alltags und / oder Berufsleben ist das Ziel.
Es stehen deshalb auch nicht einzelne Krankheitssymptome im Vordergrund sondern die Einschränkung der Handlungsfähigkeit. Es interessiert, was kann der Mensch auf Grund seiner Erkrankung oder Verletzung nicht mehr tun und wie kann ihm geholfen werden. Der Behandlungsform „Ergotherapie“ liegt die Vorstellung oder das Konzept zugrunde, dass Kranke und Behinderte über alltags bzw. handlungsorientierte Aktivitäten und Prozesse ihre für ein sinngebendes Leben erforderlichen Kompetenzen entwickeln, erhalten, wiedererlangen oder erweitern können.
Dabei ist der Bezug zur Umwelt von ausschlaggebender Bedeutung. Für Ergotherapeuten spielt die Anpassung an die Umwelt in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Zum einen geht es um eine Anpassung, die der Mensch an gegebene Umweltstrukturen zu leisten hat, zum anderen darum, Umweltstrukturen an den Betroffenen anzupassen.
Ergotherapie ist Hilfe zur Selbständigkeit im täglichen Leben und im Beruf
Nach einer differenzierten ergotherapeutischen Befunderhebung werden gemeinsam mit dem Patienten und / oder dessen Angehörigen die individuellen Ziele erarbeitet, der Behandlungsplan erstellt und die entsprechenden Behandlungsmethoden und Medien ausgewählt. Ergotherapeuten strukturieren eigenverantwortlich den Prozess der Behandlung. Sie geben gezielte Anleitung für den häuslichen und beruflichen Alltag und unterstützen die Schritte zur Selbständigkeit. Während des therapeutischen Prozesses müssen Ziele, Behandlungsplan und Behandlungsmethoden ständig dem Können des Patienten und der veränderten Situation angepasst werden.
Zur Behandlung gehört auch die Versorgung mit Hilfsmitteln und Schienen. Die Ergotherapeuten wählen diese aus oder stellen sie selbst her und üben den Umgang damit ein.
Tätigkeitsfelder der Ergotherapie
- in Kliniken und Krankenhäusern der Fachrichtungen Orthopädie, Unfallheilkunde, Innere Medizin, Rheumatologie, Neurologie, Geriatrie, Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatik
- in Einrichtungen für behinderte Kinder, wie Sonderschulen, Kindergärten, Heimen und Frühbehandlungszentren
- in geriatrischen Einrichtungen wie Alten und Pflegeheimen und Tageskliniken
- in Einrichtungen der sozialen, medizinischen und beruflichen Rehabilitation und in Werkstätten für Behinderte
- im sogenannten Mobilen Dienst und in Sozialstationen
- in der eigenen Praxis (nach zweijähriger Berufserfahrung)
- als Lehrergotherapeut oder Ausbildungsleitung an Schulen für Ergotherapie
- als Lehrende und Forschende an der Hochschule
Neurologie
In der Neurologie werden vor allem Erkrankungen des zentralen Nervensystems z. B. Schlaganfall, SchädelHirn-Verletzungen, Querschnittslähmungen oder Multiple Sklerose behandelt. Diese weisen in der Regel sehr komplexe Störungsbilder auf, die sich vergleichsweise langsam und pur selten vollständig zurückbilden.
Eine ergotherapeutische Behandlung in diesem Fachbereich beinhaltet z. B.:
- Hemmung und Abbau pathologischer Haltungs- und Bewegungsmuster und Bahnen normaler Bewegungen
- Koordination, Umsetzung und Integration vor Sinneswahrnehmungen / sensorische Integration
- Verbesserung der zentral bedingten Störungen von Grob- und Feinmotorik zur Stabilisierung sensomotorischer und perzeptiver Funktionen einschl.. der Verbesserung von Gleichgewichtsfunktionen
- Verbesserung von neuropsychologischen Defiziten und Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis oder Lese-Sinn-Verständnis, das Nachvollziehen von Teilschritten einer Handlung, das Erkennen van Gegenständen oder das Erfassen von Räumen, Zeit und Personen
Erlernen von Ersatzfunktionen
Entwicklung und Verbesserung der sozio-emotionalen Fähigkeiten u. a. in den Bereichen der emotionalen Steuerung, der Affekte oder der Kommunikation
Training von Alltagsaktivitäten im Hinblick auf die persönliche, häusliche und berufliche Selbständigkeit
Beratung bzgl. geeigneter Hilfsmittel und Änderungen im häuslichen und beruflichen Umfeld, ggf. Herstellung und Anpassung von Hilfsmitteln
Um die oben beschriebenen Ziele zu erreichen, greift die Therapeutin auf verschiedene Behandlungsansätze zurück, wie z. B. nach Bobath, Affolter, Johnstone, PNF, Perfetti, Castillo Morales oder andere.
Die Behandlung gilt als abgeschlossen, wenn die vereinbarten Behandlungsziele erreicht wurden und der Patient bestimmte Handlungskompetenzen erworben hat, auch ohne dass alle früheren Fertigkeiten wieder erlangt wurden.
Geriatrie
Ergotherapie in der Geriatrie wird bestimmt durch Erkrankungen, die durch den Alterungsprozess bedingt, einer ständigen Veränderung unterworfen sind. Die typischen Krankheitsbilder sind neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, dementielle Erkrankungen, wie z. B. Morbus Alzheimer, degenerative und rheumatische Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems, Zustand nach Frakturen, Amputationen und Tumorentfernung, Depression, Psychose und Neurose.
Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität), akute und chronische Krankheitsbilder und äußere Einflüsse wie die Wohnsituation und Veränderungen im sozialen Umfeld bestimmen die Maßrahmen. Durch altersbedingte physiologische Funktionseinschränkungen befindet sich der alte Mensch in einem labilen gesundheitlichen Gleichgewicht. Jede zusätzliche Erkrankung ist somit eine massive physische, psychische und soziale Belastung. Ergotherapie muss sich in der Geriatrie diesen Besonderheiten stellen. Um die größtmögliche Selbständigkeit im Alltag zu erhalten, ist es notwendig, verlorengegangene Funktionen wieder aufzubauen und vorhandene Fähigkeiten zu erhalten.
Die ergotherapeutische Behandlung in diesem Fachbereich beinhaltet die:
- Förderung der motorisch-funktionellen Fähigkeiten für Mobilität und Geschicklichkeit
- Aktivierung kognitiver und neuropsychologischer Fähigkeiten, z. B. für bessere Orientierung
- Anleitung zur Selbsthilfe beim Essen und Trinken, bei Körperpflege und Bekleidung, Fortbewegung sowie Kommunikation für größtmögliche Selbständigkeit
- Beratung – auch der Angehörigen – bei Wohnraum und Hilfsmittelanpassung
- Begleitung bei Erfahrungen von Veränderungen und Verlust zum Erhalt der psychischen Stabilität
Erfahrungen mit schwerster Pflegebedürftigkeit, mit Sterben und Tod gehören zum Berufsalltag der geriatrischen Ergotherapie und verlangen eine professionelle Reflexion von Grenzen und Möglichkeiten der Therapie. Die Berücksichtigung der spezifischen therapeutischen Möglichkeiten und die Einschätzung erreichbarer Therapieziele ist für den Erfolg der Arbeit mit dem älteren Patienten maßgeblich.
Psychiatrie
Ergotherapie in der Psychiatrie behandelt Patienten aller Altersstufen mit psychotischen, neurotischen und psychosomatischen Störungen sowie mit Suchterkrankungen. Dies sind z. B. psychische Störungen im Kinder und Jugendalter, neurotische Störungen, Persönlichkeits und Verhaltensstörungen, Depressionen, Schizophrenien, schizotype und wahnhafte Störungen, Essstörungen, affektive Störungen, dementielle Syndrome, hirnorganisches Psychosyndrom, Störungen bei Alkohol-, Drogen-, Medikamenten- und Spielsucht.
Die grundsätzlichen Ziele der Ergotherapie in der Psychiatrie sind die Entwicklung, Verbesserung und der Erhalt von:
- Psychischen Grundleistungsfunktionen wie Antrieb, Motivation, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität und Selbständigkeit in der Tagesstrukturierung
- Körperwahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung
- Realitätsbezogenheit von Selbst- und Fremdwahrnehmung
- Situationsgerechtem Verhalten, sozio-emotionalen Kompetenzen und Interaktionsfähigkeit
- Kognitiven Funktionen
- Psychischer Stabilität und von Selbstvertrauen
- Eigenständiger Lebensführung und Grundarbeitsfähigkeit
Im wesentlichen sind dabei drei Behandlungsansätze von Bedeutung:
Die kompetenzzentrierte Methode umfasst einen ergebnisorientierten Ansatz mit prozessorientierten Anteilen, bei dem der Patient ausgewählte Techniken und Tätigkeiten ausführt, um verlorengegangene oder nicht vorhandene Fähigkeiten zu erlernen oder zu üben. Bei der interaktionellen Methode handelt es sich um ein überwiegend prozessorientiertes Gruppenangebot, das auch ergebnisorientierte Anteile haben kann. Dabei steht die Auseinandersetzung der Gruppenmitglieder miteinander im Vordergrund.
Die ausdruckszentrierte Methode beinhaltet einen prozessorientierten Ansatz, bei dem der Patient über kreativ zu gestaltende Angebote, zur Auseinandersetzung mit seinen Gefühlen, Wünschen und Strebungen angeregt wird. Eine Behandlung bei psychischen Störungen ist auch angezeigt, um bei der Verarbeitung eines schwerwiegenden Krankheitsverlaufes zu helfen oder den praktischen Umgang mit einer bleibenden schweren Schädigung zu verbessern.
Pädiatrie
Ergotherapie in der Pädiatrie wendet sich an Kinder vom Säuglings- bis ins Jugendlichenalter, wenn ihre Entwicklung verzögert ist, sie in ihrer Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Behinderung bedroht oder betroffen sind. Die Ursachen hierfür sind z. B. angeborene oder früherworbene Störungen des Bewegungsablaufs infolge von Hirnschädigungen oder Entwicklungsstörungen, Sinnesbehinderungen, Störungen der Wahrnehmungsverarbeitung, Störungen in der Sozialentwicklung und Kommunikationsfähigkeit sowie psychische Erkrankungen und geistige Behinderungen.
Übergeordnetes Ziel ist immer größtmögliche Handlungskompetenz und im Zusammenhang damit die größtmögliche Selbständigkeit des Kindes. Dazu gehört z. B.
- Verbesserung der Bewegungsabläufe, der Tonusregulation und der Koordination
- Umsetzung und Integration von Sinneswahrnehmungen / sensorische Integration und die Verbesserung der Körperwahrnehmung und des Körperschemas
- Entwicklung und Verbesserung von kognitiven Fähigkeiten wie Konzentration und Ausdauer
- Entwicklung und Verbesserung von sozio-emotionalen Kompetenzen, u. a. in den Bereichen der emotionalen Steuerung, der Affekte, der Motivation oder der Kommunikation
- Integration des Kindes in Familie und Umwelt
- Kompensation bleibender Defizite, u.a. auch durch Hilfsmittel
- Behandelt wird u.a. nach den Behandlungskonzepten von Ayres (Sensorische Integrationstherapie), Affolter, Bobath, Castillo Morales, Frostig.
Grundsätzlich sollen alle in der Behandlung angebotenen Aktivitäten für das Kind in einem sinnvollen Handlungszusammenhang stehen. Der tatsächliche Entwicklungsstand des Kindes / Jugendlichen ist die Grundlage aller Maßnahmen. Dafür müssen die geistigen, emotionalen und körperlichen Fähigkeiten und Defizite des Kindes erfasst werden. Die Beratung der Eltern und die intensive Zusammenarbeit mit ihnen sowie der Austausch mit anderen, das Kind betreuenden Personen, sind unabdingbarer Bestandteil der Behandlung.
Orthopädie
Die Ergotherapie behandelt in diesem Fachgebiet Patienten aller Altersstufen mit Störungen aus den Bereichen der Orthopädie, Traumatologie und Rheumatologie. Dies sind z. B. angeborene Fehlbildungen des Rumpfes, der Arme und Hände, Abnutzungserscheinungen und Erkrankungen der Wirbelsäule und anderer großer Gelenke, entzündliche und degenerative Gelenkerkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, Verletzungen der Knochen, Muskeln und Sehnen und der Nerven, Amputationen, Lähmungen von Nerven vor allem der Arme und des Rumpfes, Tumoren der Knochen, Muskeln oder Nerven.
Die Beweglichkeit soll wieder hergestellt, die Muskulatur gekräftigt und die Geschicklichkeit und Koordination beider Hände und der einzelnen Finger normalisiert werden. In der Ergotherapie soll der Patient lernen, seine Kräfte zu nutzen und durch veränderte Verhaltensweisen und Arbeitsabläufe eine bleibende Behinderung zu kompensieren. Dieses kann auch durch Training mit speziellen Hilfsmitteln, von Ergotherapeuten angefertigten Handschienen oder Prothesen erfolgen.
Eine ergotherapeutische Behandlung in diesem Fachbereich beinhaltet z. B.:
- Übungen zur Beweglichkeit, Muskelkraft, Ausdauer, Belastbarkeit und Sensibilität
- Training von Alltagsaktivitäten im Hinblick auf die persönliche, häusliche und berufliche Selbständigkeit
- Beratung und Training zum Gelenkschutz
- Abhärtung von Amputationsstümpfen und Training mit der Prothese
- Herstellung von speziellen Hand- und Armschienen
- Beratung bzgl. geeigneter Hilfsmittel und Änderungen im häuslichen und beruflichen Umfeld, ggf. Herstellung und Anpassung von Hilfsmitteln
Körperliche Folgen der Grundkrankheit werden durch ergotherapeutische Maßnahmen gemildert, vorhandene Fähigkeiten gestärkt. Das Ziel ist, ein Maximum an Lebensqualität zu sichern und eine größtmögliche Selbständigkeit in allen Bereichen der persönlichen, häuslichen und beruflichen Lebensführung zu erreichen.
Quelle: Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.